Egal ob Sie durch einen Möbelkatalog blättern, Farben aussuchen, sich über Kaminöfen informieren oder Einrichtungsmagazine lesen: Es ist beinahe unmöglich, nicht auf den Landhausstil zu stoßen. Wie so häufig handelt es sich jedoch längst um einen Begriff, welcher durch zu häufigen, unsachgemäßen, inflationären Gebrauch völlig verwaschen ist.
Schon seit Jahren wird Landhausstil als Stempel allen möglichen bau- und einrichtungstechnischen Details aufgedrückt, ohne dass dahinter jedoch zwangsläufig wirklich Landhausstil stehen muss – vor allem neuerdings fällt mir dies immer stärker auf.
Dabei ist Landhausstil nicht nur eigentlich ein feststehender Begriff, sondern enthält auch klar erkennbare, ständig wiederkehrende Merkmale, die sich vom Boden bis zur Decke zeigen und dabei stilistisch einzigartig sind – und sich auch klar von Stilen abgrenzen, die zwar mit dem Landhaus-Look verwandt, jedoch nicht deckungsgleich sind.
Lesen Sie auf den folgenden Seiten deshalb, was Landhausstil wirklich ist, welche Materialien, Farben und Formen dazugehören und auch, wo die Grenzen liegen.

Das erwartet Sie in diesem Beitrag
- Landhausstil: Annahmen und Grundgedanken
- Der klassische Landhausstil und seine Grundlagen
- Der moderne Landhausstil und seine Grundlagen
- Was alles nicht unter den Landhausstil fällt
Landhausstil: Annahmen und Grundgedanken

Zunächst sei festgestellt, dass der Landhausstil sich nicht nur auf die Inneneinrichtung beschränkt – auch wenn er heutzutage vielfach darauf reduziert wird und ich mich ebenfalls in diesem Text darauf fokussieren werde. Tatsächlich haben wir es hierbei mit zweierlei Bereichen zu tun:
- Einem generellen architektonischen Baustil
- Einer distinktiven Ausprägung der Innenarchitektur
Das heißt, ein Haus kann außen nach Landhaus aussehen, muss aber nicht so eingerichtet sein, kann dort im krassen Extrem des Schwarz-Weiß-Looks aufgemacht sein. Umgekehrt kann ein Gebäude außen völlig anders wirken, drinnen aber Landhaus pur sein.
Doch was ist Landhausstil im ursprünglichen Sinn? Letztlich ist er pure Nostalgie, geboren aus urbanen Wünschen nach den (oft nur zugeschriebenen) Attributen eines ländlichen Wohnumfeldes. Die Wurzel dieses Stils liegt in England sowie neuzeitlicher in Nordamerika. Dort orientierte man sich insbesondere für Wochenendhäuser an dem, was in früheren Jahrhunderten bei Häusern von Landarbeitern (eng. Cotters) üblich war. Das heißt:
- Ausschließlich natürliche (regionale) Materialien
- Einfachheit und Naturverbundenheit von Formen und Mustern
- Naturbezogene Farbtöne
- Generell entfeinerte, geradezu rustikale Optiken
Letzten Endes versuchte man also, das, was arme Landarbeiter notgedrungen anwenden mussten, für eine höherstehende Klientel anzupassen – was sich zweifelsohne mit dem Wunsch nach einem einfacheren, entschleunigteren Dasein erklären lässt; dies ist definitiv keine Ausprägung unserer neuzeitlichen, digitalisierten Welt.
Allerdings liegt es auf der Hand, dass kaum jemand Höherstehendes wie ein armer Landarbeiter leben wollte. Dementsprechend entwickelte sich der Landhausstil frühzeitig weiter.
Der klassische Landhausstil und seine Grundlagen

In keinem Haus der Mittelschicht fanden sich plötzlich grob behauene Tische und Bänke. Wohl aber extrahierte man die Grundlagen der vier Punkte, die Sie im vorherigen Kapitel lesen konnten.
Das führte zum klassischen Landhausstil,– und der ohne das Attribut klassisch beziehungsweise traditionell überaus häufig falsch verwendet wird. Seine Merkmale sind:
- Grundsätzlich dunkle Hölzer bzw. dunkle Beizungen.
- Schwere, wuchtige Möblierungen aus ebenfalls dunklem Holz.
- Zahlreiche, meist regionalisierte Schnitz- und Malerarbeiten, oft unter Verwendung pflanzlicher Muster.
- Deckende Anstriche in erdigen Farbtönen.
- Bei Metallen die Nutzung von Messing und Eisen. Letzteres oft mit sichtbaren Bearbeitungsspuren und meist mit Leinöl oder Wachs „schwarzgebrannt“.
- Häufig die Verwendung zahlreicher und teilweise „grob“ wirkender Dekorelemente und Stoffe ebenfalls aus natürlichen Materialien – beispielsweise Tonkrüge.
Vielleicht werden Sie feststellen, dass dies nur wenig mit dem zu tun hat, was Sie unter dem Landhausstil verstehen. Das ist nicht verwunderlich, denn fast alles, was heute (sofern es überhaupt wirklich Landhausstil ist) als solcher bezeichnet wird, folgt einer anderen Linie:
Der moderne Landhausstil und seine Grundlagen

Es ist heutzutage definitiv einfacher, ein Haus im modernen Landhausstil einzurichten. Dies gilt schon deshalb, weil das Design fast aller modernen Belagsmaterialien am Boden in diese Richtung geht; ganz gleich, ob Sie Parkett, Laminat, Vinyl oder Kork wünschen. Auch im Einrichtungshaus werden Sie mit geschultem Auge nur wenig Mühe haben, von der Tapete bis zum Küchenschrank passendes zu finden.
Denn moderner Landhausstil ging mit einer generellen Trendwende des Wohnens einher. So beliebt der klassische Stil war und teils nach wie vor ist, so sehr wurde er im Verlauf des späteren 20. Jahrhunderts immer mehr als altbacken, wuchtig, kitschig empfunden. Zwar bestand nach wie vor der Wunsch nach einem Wohnen gemäß der dem Ländlichen zugeschriebenen Attribute, jedoch verlangte die Masse nach etwas modernerem Flair.
Hierbei wurde der Einfluss des skandinavischen Wohnens im Verlauf der 1960er und -70er immer deutlicher. In diesen Ländern hatte bereits der klassische Landhausstil distinktiv anders ausgesehen als in anderen Staaten. Nicht zuletzt durch die Verbreitung schwedischer Möbelhäuser wurden skandinavische Details immer beliebter. Zusammen mit der Arbeit von Designern und Innenarchitekten wurde daraus das, was wir heute als modernen Landhausstil kennen:
- Generell helle Hölzer, helle Beizungen oder auch nur die Verwendung von Ölungen.
- Deutlich leichtere, filigraner gestaltete Möbel.
- Stark entfeinerte Schnitz- und Malerarbeiten, die sich auf simple geometrische Formen sowie, wenn überhaupt, sehr einfache florale Muster beschränken.
- Generell helle bis pastellige Anstriche vom Boden bis zur Decke. Dies kann deckend geschehen, jedoch auch nur lasierend – oder, im Fall des Shabby Chic, auch mit Absicht abgeschliffen. Allerdings sei unterstrichen, dass Shabby nicht bloß „Landhaus mit verwittertem Charme“
- Nutzung von dunkleren Holztönen sowie Maserungen als kontrastierendes Element. Beispielsweise dunkelbraun gebeizte Küchentischplatte mit deckend weiß gestrichener Unterkonstruktion oder dunkler Laminatboden mit hellen Wänden und Decken.
- Deutlich verringerter Zierrat und die Nutzung etwas feinerer Materialien, auch bei den Stoffen.
Dies dürfte wahrscheinlich schon deutlich stärker dem entsprechen, was Sie unter dem Landhausstil verstehen.
Was alles nicht unter den Landhausstil fällt

Im Eingangstext habe ich geschrieben, dass es mir neuerdings immer häufiger auffällt, dass Landhausstil für alle möglichen Details verwendet wird, obwohl es sich selbst nach lockerer Definition nicht darum handelt.
An dieser Stelle möchte ich deshalb die Gelegenheit wahrnehmen, Aufklärungsarbeit zu leisten – nicht zuletzt deshalb, weil Sie so beim Einrichten typische Fehler vermeiden können.
- Shabby Chic kann, wie erwähnt, Landhausstil sein. Dies gilt aber nur dann, wenn dafür auch Landhaus-typische Möbel und Accessoires herangezogen werden. Jedoch kann Shabby Chic auch auf viele andere Stile gelegt werden; er ist sozusagen nur ein Filter, bei dem Herkömmliches absichtlich „schäbiger“ wirken gelassen wird.
- Hygge wird zwar oft als Einrichtungsstil kolportiert, ist aber eher ein gesamtheitlicher Ansatz zwischen Wohn- und Lebensgefühl. Zwar stimmt es, dass viele Details zum (skandinavischen) Landhausstil gehören, das liegt jedoch eher daran, dass der Stil von vielen als urgemütlich oder eben „hyggelig“ empfunden wird.
- Lagom ist sozusagen die Weiterentwicklung von Hygge. Der Unterschied ist jedoch, dass Lagom versucht, das Lebensumfeld in Sachen physischer Gegenstände zu reduzieren. Das heißt, Lagom ist Hygge minus die vielfach oft überfrachtet wirkenden Details zwischen Dutzenden Kissen und Kerzen.
- Skandinavisch hat zwar dieselben nordeuropäischen Wurzeln wie der moderne Landhausstil, unterscheidet sich von diesem aber durch die Abwesenheit sämtlicher ländlicher Elemente. Zwar ähneln sich die hellen Farbtöne, jedoch ist Skandinavisch (auch Scandi Chic genannt) von einem viel puristischeren, schlichteren Ansatz ohne jeglichen Zierrat geprägt.
- Maritim ist als „Küstenstil“ deutlich internationaler geprägt, stützt sich dabei aber eher auf einige Farb- und Dekorregeln. Schwarz, Weiß, Blau, Rot und Beige sind hier die einzigen „erlaubten“ Farben und durch Accessoires wie Netze, Muscheln, Seesterne, Anker, Schiffsmodelle und dergleichen wird ein starker Bezug zum Meer und den der Küste zugeschriebenen Attributen hergestellt.
Dazu lässt sich sagen, dass die heutige Einrichtungsindustrie daran Schuld trägt, dass diese genannten Stile zusammen mit modernem Landhaus stark verwischen. Das macht es zwar leichter, jeweils passende Elemente zu finden, aber gleichzeitig auch schwieriger, einen „puren“ Look zu erzielen. Beispielsweise genügt es vielfach, die nautische Deko zu entfernen, um in einem Raum von Maritim auf Skandinavisch oder eben modernes Landhaus umzugestalten.
Meine Empfehlung lautet deshalb, dass Sie nicht nur nach dem gehen sollten, was auf dem Schild eines Möbelstücks steht. Richten Sie Ihr Zuhause so ein, wie es den regionaltypischen ländlichen Details entspricht, die sich recherchieren lassen. Und gerade heute, wo insbesondere so viele Möbel multistilistisch verwendbar sind, kann es auch oft genügen, zu weißer Farbe oder Sandpapier zu greifen – das hätten die Urväter des Landhausstils, die armen Bauern, höchstwahrscheinlich ebenso getan.