Besser als Lüftungsanlage: Bauelement aus Abfallstoffen sorgt für gutes Raumklima

Von Dominik Hochwarth

In viel genutzten Innenräumen wie Büros, Museen oder Behörden wird die Luft schnell stickig. Hauptursache ist die steigende Luftfeuchtigkeit, die durch Menschen und ihre Aktivitäten entsteht. Bisher greifen viele Gebäude auf mechanische Lüftungsanlagen zurück, um die Feuchtigkeit zu reduzieren. Diese Systeme sind jedoch energieintensiv und können zur Klimabelastung beitragen. Forschende der ETH Zürich haben jetzt eine Alternative entwickelt: Bauelemente aus mineralischen Abfallstoffen, die Feuchtigkeit passiv regulieren und die mittels 3D-Druck hergestellt werden.

Menschen im Büro
Wo sich viele Menschen aufhalten, leidet schnell das Raumklima. Als Alternative zu energieintensiven Lüftungsgeräten könnte bald ein neues Material fungieren.

Inhaltsverzeichnis

Materialien aus der Kreislaufwirtschaft

Das Herzstück der neuen Bauelemente ist ein Material, das aus fein vermahlenem Abfall aus Marmor-Steinbrüchen besteht. Dieser Reststoff wird in der Regel entsorgt, doch im Rahmen des Projekts wird er als Basis für neue Baustoffe genutzt. Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH, erklärt: „Unsere Lösung basiert auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft, bei dem Abfallstoffe effizient wiederverwertet werden.“

Damit das Marmorpulver zu einem festen Baustoff wird, kommt ein Geopolymer-Binder zum Einsatz. Dieses Bindemittel wird aus Metakaolin (einem Nebenprodukt aus der Porzellanherstellung) sowie einer alkalischen Lösung hergestellt. Im Vergleich zu herkömmlichem Zement hat dieser Binder eine deutlich geringere CO2-Bilanz. Dadurch wird nicht nur Abfall verwertet, sondern auch die Umwelt geschont.

Herstellung mithilfe von 3D-Druck

Die Produktion der Bauelemente erfolgt mithilfe der sogenannten Binder-Jet-Drucktechnologie. Dabei wird das Marmorpulver Schicht für Schicht aufgetragen und durch den Geopolymer-Binder fixiert. Dieses Verfahren ermöglicht die Herstellung komplexer Geometrien, die mit traditionellen Methoden nur schwer realisierbar wären. Benjamin Dillenburger, Professor für Digitale Bautechnologien, hebt die Vielseitigkeit hervor: „Mit diesem Verfahren lassen sich Bauteile in einem großen Formenreichtum effizient herstellen.“

Die Prototypen sind 20 x 20 cm groß und 4 cm dick. Ihre Produktion im Labormaßstab war erfolgreich, und die Ergebnisse legen nahe, dass die Technologie auch im industriellen Maßstab angewendet werden könnte. Die Verbindung von Materialwissenschaft und moderner Fertigungstechnologie macht dieses Projekt zu einem Vorreiter für nachhaltiges Bauen.

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So sieht das feuchtigkeitsbindende Material aus. Wird das Bauelement in Wänden und Decken eingesetzt, reduziert es die Luftfeuchtigkeit von Innenräumen. Foto: Pietro Odaglia / Josef Kuster

Hygroskopische Eigenschaften im Detail

Das entscheidende Merkmal der neuen Bauelemente ist ihre hygroskopische Eigenschaft. Sie können Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen und wieder abgeben, ohne dass externe Energie benötigt wird. Das verbessert nicht nur das Raumklima, sondern reduziert auch den Bedarf an energieintensiven Lüftungssystemen.

Guillaume Habert fasst die Vorteile zusammen: „Unsere Lösung empfiehlt sich besonders für Räume, die stark genutzt werden und bei denen Lüftungsanlagen oft nicht ausreichen.“ In einer Simulation untersuchten die Forschenden die Wirksamkeit der Technologie. Dabei wurde ein Lesesaal in einer öffentlichen Bibliothek in Porto modelliert, der von 15 Personen gleichzeitig genutzt wird. Die Ergebnisse zeigten, dass die Bauelemente die relative Luftfeuchtigkeit effektiv innerhalb der Komfortzone von 40 bis 60 Prozent halten konnten.

Die Forschenden entwickelten auch einen sogenannten Unbehaglichkeits-Index, der den Komfortverlust durch zu hohe oder zu niedrige Luftfeuchtigkeit beschreibt. Mit den neuen Bauelementen konnte dieser Index um bis zu 85 Prozent gesenkt werden – ein beeindruckendes Ergebnis, das die Wirksamkeit der Technologie unterstreicht.

Klimafreundlichkeit im Vergleich

Die Bauelemente schneiden auch in der Umweltbilanz gut ab. Über einen Zeitraum von 30 Jahren verursachen sie deutlich weniger Treibhausgas-Emissionen als herkommliche Lüftungsanlagen. Zudem wurden sie mit Lehmputz verglichen, der traditionell zur Feuchtigkeitsregulierung genutzt wird. Zwar ist Lehmputz noch klimafreundlicher, jedoch bieten die ETH-Bauelemente eine höhere Feuchtigkeitsspeicherfähigkeit und bessere Langzeitleistung.

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Technologie nicht nur für moderne Gebäude, sondern auch für historische oder ressourcenarme Regionen interessant sein könnte, in denen mechanische Lösungen keine Option sind.

Zukunftsaussichten und Weiterentwicklung

Nach dem erfolgreichen Labortest arbeiten die Forschenden nun daran, die Herstellung weiter zu optimieren. Ziel ist es, den Geopolymer-Binder noch umweltfreundlicher zu machen und die Produktion für den industriellen Einsatz zu skalieren. In Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, darunter das Polytechnikum Turin und die Aalto-Universität in Finnland, wird an einer weiteren Reduktion der Treibhausgas-Emissionen gearbeitet.

Guillaume Habert betont: „Um die Netto-Null-Ziele bis 2050 zu erreichen, brauchen wir Gebäude, die sowohl in der Herstellung als auch im Betrieb möglichst emissionsfrei sind.“ Die neue Technologie der ETH ist ein Schritt in diese Richtung und zeigt, wie innovative Ansätze zur Nachhaltigkeit in der Bauindustrie beitragen können.

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