Santiago Bernabéu: Ein Mythos aus Beton und Stahl

Von Dominik Hochwarth

Auf dem Rasen zauberten schon Günther Netzer und Paul Breitner, Mesut Özil und Samy Khedira, Tony Kroos und Antonio Rüdiger. Die deutschen Spieler sollen hier haben nicht das Thema sein. Wir kümmern uns um die Baugeschichte. Das Estadio Santiago Bernabéu in Madrid ist mehr als ein Stadion. Seit 1947 wächst und wandelt es sich stetig. Vom einfachen Spielfeld entwickelte es sich zu einer Hightech-Arena mit beweglichem Dach, versenkbarem Rasen und neuer Fassade. Legenden und Tragödien geben dem Ort zusätzlich seine Aura.

Das alte Santiago Bernabéu
So sah das Santiago Bernabéu vor dem Umbau aus. Foto: Depositphotos / a_medvedkov

Das erwartet Sie in diesem Beitrag

Die Idee zum neuen Stadion von Madrid

Als Santiago Bernabéu 1943 Präsident von Real Madrid wurde, hatte er eine Vision. Er wollte ein Stadion errichten, das nicht nur Platz für Fans bot, sondern den Verein in eine neue Dimension führte. Damals finanzierten sich Klubs ausschließlich über Eintrittsgelder.

Bernabéu erkannte: Je größer das Stadion, desto größer die Einnahmen. 1944 begannen die Bauarbeiten – mitten im Zweiten Weltkrieg und unter schwierigen Materialbedingungen. Am 14. Dezember 1947 wurde das Estadio Chamartín Nuevo eröffnet, der Vorläufer des heutigen Santiago Bernabéu.

Das erste Spiel bestritten Real Madrid und Belenenses Lissabon. 75.000 Zuschauer erlebten den Auftakt. Sabino Barinaga erzielte das erste Tor. Schon damals war klar: Dieses Stadion sollte Geschichte schreiben.

Die ersten Ausbauten – mehr Platz für die Massen

Die Nachfrage wuchs schnell. Bereits 1953 begann der Ausbau der Osttribüne. Ein dritter Rang entstand, flankiert von zwei markanten Türmen. Die Kapazität kletterte auf 125.000 Plätze. Für die damalige Zeit war das gigantisch.

1955 benannte der Verein die Arena in „Estadio Santiago Bernabéu“ um – eine Würdigung für den Präsidenten, der die Idee verwirklichte. Zwei Jahre später folgte ein technisches Novum: eine fest installierte Flutlichtanlage. Damit waren erstmals Nachtspiele in Spanien möglich.

1972 kam eine elektronische Anzeigetafel hinzu. Real Madrid wurde damit erneut Pionier im spanischen Fußball.

Umbauten für die Weltmeisterschaft 1982

Für die WM 1982 musste das Stadion auf den neuesten Stand gebracht werden. Die Architekten Luis und Rafael Alemany Indarte sowie Manuel Salinas planten eine umfassende Modernisierung. Sitzplätze ersetzten weite Teile der Stehbereiche, drei Tribünen erhielten Dächer, die Fassade wurde erneuert.

Die Kosten: 704 Millionen Peseten. Ein Großteil kam aus der Vereinskasse. Am Ende bot das Bernabéu 90.000 Plätze. Und es wurde zur Bühne für Spiele, die in Erinnerung blieben – darunter das legendäre Finale zwischen Italien und Deutschland.

Santiago Bernabéu Umbau
Santiago Bernabéu während der Umbauphase im Jahr 2019. Foto: Depositphotos / jqnoc

Die 1990er-Jahre – ein Stadion wächst in die Höhe

1992 begann die nächste große Erweiterung. Architekt Antonio Lamela hob das Dach an, um Platz für zusätzliche Ränge zu schaffen. Eine Rasenheizung wurde installiert. So konnte man den Platz auch im Winter bespielen.

Die Kapazität stieg auf 106.500 Plätze. Doch neue UEFA-Regeln verlangten wenige Jahre später den Umbau zu reinen Sitzplatzstadien. Damit sank das Fassungsvermögen wieder – diesmal auf rund 74.300.

Florentino Pérez und die Modernisierung ab 2000

Als Florentino Pérez 2000 Präsident wurde, machte er das Stadion zu einem zentralen Projekt. Zwischen 2001 und 2006 entstanden VIP-Logen, neue Kabinen, moderne Presseräume und Aufzüge. Auch Komfortfragen spielten nun eine Rolle: Heizstrahler über den Tribünen sorgten für angenehme Temperaturen.

2006 eröffnete Real ein angeschlossenes Gebäude mit Büros, TV-Studios und einem großen Fanshop. Die Kosten summierten sich auf 129 Millionen Euro. Real Madrid investierte damit nicht nur in den Sport, sondern auch in ein Erlebnis für Besucher.

2010 folgte ein Höhepunkt: Das Champions-League-Finale zwischen Inter Mailand und Bayern München. Das Bernabéu war Bühne für ein internationales Fußballfest.

Ein neues Gesicht für das 21. Jahrhundert

2011 kam die nächste große Vision: ein kompletter Umbau. Zunächst blockierte ein Gericht den Plan, weil Grundstückstausch und Bauauflagen unklar waren. Doch 2016 stand die endgültige Einigung.

Den Wettbewerb gewannen die deutschen Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) zusammen mit L35 Arquitectos und Ribas & Ribas. Ihr Entwurf sah eine einheitliche Hülle vor – eine Fassade aus Edelstahl-Lamellen, die wie ein schimmernder Mantel um das Stadion liegt.

Das neue Santiago Bernabéu von innen
Verschließbares Dach und 360-Grad-Anzeigetafel, das neue Santiago Bernabéu bietet jeglichen Komfort. Foto: Depositphotos / victorttcd

Baustelle mitten in der Pandemie

2019 starteten die Arbeiten. Generalunternehmer FCC musste unter engen Bedingungen arbeiten. Denn das Stadion liegt direkt am Paseo de la Castellana, einer Hauptverkehrsader Madrids.

Als die Corona-Pandemie 2020 den Spielbetrieb lahmlegte, verlagerte Real seine Heimspiele ins kleinere Estadio Alfredo Di Stéfano. So konnte der Umbau ohne Unterbrechung vorangehen.

Bis 2023 entstand ein neues Dachtragwerk. Mehr als 20 Krane, darunter Raupenkrane mit bis zu 1.200 Tonnen Traglast, waren beteiligt. „Jeder Hub wurde detailliert mit dem Team zuerst digital am Computer simuliert und dann ausgeführt“, sagte Jose Garcia von Eurogruas 2000.

Fassade aus Deutschland

Ein zentrales Bauelement kommt aus Koblenz. Das Unternehmen Kalzip lieferte die Aluminiumlamellen für die Hülle und die Bauteile für das Dach. „Das Santiago Bernabéu-Stadion ist ein Ort, an dem Geschichte geschrieben wird, und wir sind begeistert, mit unserer Expertise und unseren Produkten zur Schaffung einer neuen Ära beizutragen“, erklärte Kalzip-Sprecher Yannick de Beauregard.

Die Hülle reflektiert je nach Tageslicht unterschiedlich. Nachts verwandeln LEDs die Außenhaut in eine riesige Projektionsfläche. Auf zwei Seiten können sogar Spiele oder Konzerte nach außen übertragen werden.

Technik im Untergrund – das Hypogäum

Eine der größten technischen Neuerungen verbirgt sich unter dem Rasen. Das sogenannte Hypogäum ist ein 30 Meter tiefes Lager für das Spielfeld. Der Rasen wird in sechs Platten geteilt und nach jedem Spiel unterirdisch eingelagert. Dort wird er künstlich beleuchtet, bewässert und klimatisiert.

So kann das Stadion flexibel genutzt werden: für Konzerte, Messen oder andere Sportarten. Der Umbau macht das Bernabéu zu einer Multifunktionsarena.

Neue Infrastruktur

Zur Ostseite hin entstand eine Tiefgarage mit 500 Stellplätzen. Über einen Tunnel kann die gesamte Logistik des Stadions nun im Untergrund abgewickelt werden. Auch TV-Übertragungswagen haben hier Platz.

Oberirdisch entstanden neue Plätze, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Begrünung und Gestaltung übernahm ebenfalls der Klub.

Santiago Bernabéu Fassade
Die geschwungene Fassade des neuen Santiago Bernabéu stammt aus Deutschland. Foto: Depositphotos / ferdel99

Dach, Skywalk und 360°-Screen

Das Dach ist nun vollständig beweglich. Es kann in rund 15 Minuten geöffnet oder geschlossen werden. Alle Zuschauer sitzen wettergeschützt.

Über den Rängen führt ein Skywalk rund um das Stadion. Besucher*innen haben dort einen Panoramablick über Madrid. Im Inneren ergänzt seit 2024 ein 360°-LED-Screen die Ausstattung. 3.700 m² Anzeigefläche sorgen dafür, dass niemand den Überblick verliert.

Kosten und Dimensionen

Die Umbaukosten stiegen von geplanten 525 Millionen auf rund 1,17 Milliarden Euro. Gründe waren unter anderem Inflation und zusätzliche Bauideen wie das Hypogäum.

Trotzdem schaffte es der Klub, den Spielbetrieb kaum zu stören. 2021 kehrte Real Madrid ins Bernabéu zurück – mit provisorisch abgedeckten Baustellenbereichen.

Legenden und Tragödien – der Mythos lebt

Das Bernabéu ist nicht nur eine Baustelle, sondern auch ein Ort voller Geschichten. Hier feierte Real Madrid Erfolge, hier erlebte man Dramen. Von den Triumphen in der Champions League bis hin zu bitteren Niederlagen – das Stadion war immer Teil davon.

Tragödien gab es ebenfalls. 1982 starb ein Fan nach einer Massenpanik. Auch andere Unfälle sind dokumentiert. Doch über allem steht der Mythos, den Santiago Bernabéu einst träumte.

Heute ist das Stadion mehr als nur eine Sportstätte. Es ist ein Stück Stadtgeschichte, ein Bauwerk voller Technik – und ein Symbol für den Fußball.

Über den Autor

Schreibe einen Kommentar