In vielen deutschen Städten wird Wohnraum knapp. Gleichzeitig stockt der Neubau. Bundesweit wurden 2024 nur rund 216.000 Wohnungen genehmigt. Das sind deutlich weniger als die politisch angestrebten 400.000 pro Jahr. Auch im bayerischen Erding, rund 30 Kilometer nordöstlich von München, zeigt sich dieser Trend. Der Bedarf an neuen Wohnungen ist hoch, doch es wird kaum gebaut.
Ein Ansatz, der vielerorts diskutiert wird, ist die Umnutzung von Gewerbegebieten. Das Beispiel in Erding zeigt, wie dieser Weg konkret aussehen kann.

Das erwartet Sie in diesem Beitrag
- Von der Fachmarktfläche zum urbanen Wohnquartier
- Bestehende Infrastruktur sinnvoll nutzen
- Rechtliche Anpassungen notwendig
- Wann ist Wohnen im Gewerbegebiet erlaubt?
- Konflikte vermeiden – durch gute Planung
- Nachhaltigkeit durch Umnutzung
- Modell für andere Städte?
Von der Fachmarktfläche zum urbanen Wohnquartier
Der Erdinger Projektentwickler Jürgen Freiwald plant gemeinsam mit der Architektin Ruth Berktold ein gemischt genutztes Quartier im Gewerbegebiet Erding Süd. Aktuell stehen dort vor allem Fachmärkte. Doch das Gelände mit einer Fläche von 15.000 Quadratmetern soll sich verändern. „Wir zielen auf eine gemischte Nutzung des Areals ab“, erklärt Freiwald. „Die Einkaufsmöglichkeiten sollen bleiben, dazu kommt mehr Gewerbe – und vor allem Wohnen.“
Konkret ist geplant, rund 22.500 Quadratmeter Bruttogrundfläche auf mehrere Gebäude zu verteilen. Diese sollen bis zu sieben Stockwerke hoch sein. Etwa 70 % der Fläche sind für Wohnnutzung vorgesehen. Das entspricht etwa 180 neuen Wohnungen. Hinzu kommen Einrichtungen wie eine Kita, betreutes Wohnen, ein Ärztehaus sowie Gastronomie und Einzelhandel.
Bestehende Infrastruktur sinnvoll nutzen
Das Beratungsunternehmen Drees & Sommer hat die Entwicklung begleitet. Tobias Golz, Teamleiter für Quartiersentwicklung, sieht großes Potenzial in solchen Projekten. „Ob sich ihre Gewerbegebiete auch für Wohnzwecke eignen, das sollten Städte und Kommunen grundsätzlich prüfen“, sagt er. Gerade durch den Rückgang im Bürosektor stünden viele Flächen leer oder seien untergenutzt. Gleichzeitig sei die Infrastruktur meist bereits vorhanden: Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten und Strom- oder Wasserleitungen.
Golz betont die Vorteile: „Es geht um grüne, gemischt genutzte Quartiere in guter Lage. Das kann attraktiven Wohnraum schaffen, ohne neue Flächen zu versiegeln.“
Rechtliche Anpassungen notwendig
Damit aus der Idee Realität wird, müssen in der Regel Bebauungspläne geändert werden. Auch in Erding ist das der Fall. Der Stadtentwicklungsausschuss hat einstimmig für den sogenannten Aufstellungsbeschluss gestimmt. Damit startet das offizielle Verfahren zur Änderung des Plans. Danach kann die Detailplanung beginnen.
„Wichtig ist uns, dass Wohnen und Arbeiten Hand in Hand gehen“, sagt Freiwald. Die derzeit ansässigen Unternehmen sollen nach Möglichkeit bleiben können. Die Verkaufsflächen werden sogar leicht ausgeweitet – von aktuell 3.200 auf rund 4.500 Quadratmeter.
Wann ist Wohnen im Gewerbegebiet erlaubt?
Wer in einer Gewerbeimmobilie wohnen möchte, muss rechtliche Vorgaben beachten. Denn Wohnen und Gewerbe unterliegen laut Bauplanungsrecht unterschiedlichen Nutzungskategorien. Gewerbeflächen sind in der Regel nicht für dauerhaftes Wohnen vorgesehen.
Möglich wird dies nur durch eine sogenannte Nutzungsänderung, die von der zuständigen Bauaufsicht genehmigt werden muss. Dabei gilt:
- Die geplante Nutzung muss mit dem geltenden Bebauungsplan vereinbar sein.
- Es müssen die baurechtlichen Vorgaben des jeweiligen Bundeslandes eingehalten werden.
- Eine Baugenehmigung ist zwingend erforderlich.
Ob eine Wohnnutzung zulässig ist, hängt auch von der Art des Baugebiets ab. Mischgebiete (§ 6 BauGB) etwa erlauben die Verbindung von Wohnen und weniger störendem Gewerbe – sofern die Immissionswerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) nicht überschritten werden.
Der Weg zur Nutzungsänderung
Wer eine Nutzungsänderung beantragen will, muss bei der Bauaufsichtsbehörde einen Bauantrag einreichen. Dazu gehören:
- Zeichnungen mit Grundrissen, Schnitten und Ansichten
- Angaben zur Wohnfläche und zum umbauten Raum
- Nachweise zum Brand-, Wärme- und Schallschutz
Die Behörde prüft, ob der Umbau mit öffentlichen Interessen vereinbar ist – etwa im Hinblick auf Denkmalschutz oder Archäologie – und ob alle technischen Anforderungen erfüllt sind. Ist das der Fall, wird eine Genehmigung erteilt.
Auflagen und mögliche Einschränkungen
Mit der Umnutzung können auch zusätzliche Anforderungen verbunden sein:
- Versorgung: Es können neue Wasser-, Abwasser- oder Stromanschlüsse nötig sein.
- Barrierefreiheit: Ältere Gebäude müssen ggf. angepasst werden.
- Schallschutz: In Mischgebieten kann die Lärmbelastung höher sein.
- Brandschutz: Vorgaben für Wohnräume unterscheiden sich von denen für Gewerbe.
- Wohnumfeld: Es fehlen oft Grünflächen, Spielplätze oder soziale Infrastruktur.
Auch steuerliche Aspekte sollten beachtet werden. Eine Beratung durch Fachleute – etwa Architektinnen, Architekten oder Steuerberatende – ist empfehlenswert.
Was passiert bei unerlaubter Wohnnutzung?
Wird eine Gewerbeimmobilie ohne Genehmigung bewohnt, kann das rechtliche Folgen haben. Die Nutzung kann untersagt, ein Bußgeld verhängt oder im Extremfall eine Räumung angeordnet werden.
Wer bereits in einer solchen Immobilie lebt, sollte zeitnah eine Nachgenehmigung beantragen und sich Unterstützung holen. Auch Mietende können einen Antrag stellen – benötigen dafür aber die Zustimmung der Eigentümerin oder des Eigentümers.
Konflikte vermeiden – durch gute Planung
Kritikerinnen und Kritiker solcher Projekte verweisen häufig auf mögliche Nutzungskonflikte. Etwa durch Lärm, Lieferverkehr oder den Energiebedarf von Gewerbebetrieben. Doch laut Golz sind viele dieser Herausforderungen lösbar. „Gewerbe ist heute in der Regel deutlich leiser als früher. Und technische Möglichkeiten wie Schallschutz oder Wärmedämmung helfen, Probleme zu vermeiden.“
Zudem kann eine gemischte Nutzung auch Vorteile bringen. Wenn Menschen dort wohnen, wo sie einkaufen oder arbeiten, werden Wege kürzer. Das reduziert den Verkehr und kann zur Belebung des Quartiers beitragen.
Nachhaltigkeit durch Umnutzung
Ein weiterer Aspekt: Nachhaltigkeit. Golz weist darauf hin, dass der Umbau von Gewerbeflächen in Wohnraum Ressourcen spart. Bestehende Gebäude können oft ganz oder teilweise weitergenutzt werden. Dadurch entsteht weniger Bauschutt, und der CO₂-Ausstoß sinkt.
Auch das geplante Quartier in Erding setzt auf grüne Elemente. Große Teile des bisher versiegelten Geländes sollen entsiegelt und begrünt werden. Ziel sei ein verkehrsbefreites, urbanes Wohngebiet mit hoher Aufenthaltsqualität, so Freiwald.
Modell für andere Städte?
Das Projekt in Erding steht erst am Anfang. Doch es könnte ein Beispiel für viele weitere Kommunen sein. Denn Wohnraum bleibt vielerorts knapp – und neue Bauflächen sind rar. Die Idee, bestehende Gewerbeflächen umzunutzen, könnte helfen, schneller bezahlbare Wohnungen zu schaffen.
Voraussetzung ist eine vorausschauende Planung, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt: der zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner, der ansässigen Betriebe und der Stadtentwicklung insgesamt.