Pfahlbauten prägten über drei Jahrtausende das Leben vieler Gemeinschaften am Bodensee und in anderen Alpenregionen. Sie boten Schutz, erleichterten Handel und schufen Zugang zu Nahrungsquellen. Funde aus dem feuchten Boden geben einzigartige Einblicke in Alltag, Handwerk und Gesellschaft.
Rekonstruktionen in Unteruhldingen und Ausstellungen in Bad Schussenried machen diese Wohnform erlebbar – und zeigen, wie viel wir über das Leben in der Stein- und Bronzezeit bereits wissen. Gleichzeitig bleiben zentrale Fragen offen – etwa, warum diese Bauweise entstand und warum sie endete.

Das erwartet Sie in diesem Beitrag
- Wohnen zwischen Wasser und Land
- Gründe für das Bauen auf Pfählen
- Bauweise der Häuser
- Alltag im Pfahlbaudorf
- Gesellschaft und Zusammenleben
- Rekonstruktionen in Unteruhldingen
- Ein Blick in die Vergangenheit
- Forschung und moderne Techniken
- Bedrohung und Schutz der Fundstätten
- Das Ende einer Epoche
Wohnen zwischen Wasser und Land
Pfahlbauten sind Holzhäuser, die auf Pfählen stehen – gebaut in Uferzonen von Seen, in Flussmündungen oder in sumpfigem Gelände. Zwischen etwa 4300 und 850 v. Chr. lebten viele Gemeinschaften am Bodensee, am Federsee und an anderen Voralpenseen in solchen Siedlungen. Die Gründe für diese Bauweise sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Sicher ist: Sie verbanden Vorteile in Handel, Schutz und Nahrungsversorgung.
Museumsdirektor Gunter Schöbel beschreibt es so: „Der Bodensee wie auch andere große Voralpenseen unterliegt jährlich großen Schwankungen. Wenn man in Häusern, die auf Pfählen gesetzt sind, wohnt, dann kann man diesen Schwankungen ausweichen.“
Doch selbst für erfahrene Forschende bleibt manches rätselhaft. Unterwasserarchäologe Helmut Schlichtherle fragt sich: „Warum die Leute die Entscheidung getroffen haben, das so zu machen, ist bis heute eine wichtige Forschungsfrage.“
Gründe für das Bauen auf Pfählen
Die Wahl eines Bauplatzes am oder im Wasser hatte mehrere mögliche Vorteile:
- Einfache Bauvorbereitung: In Flachwasserzonen musste kein Wald gerodet werden, der weiche Boden erleichterte das Setzen der Pfähle.
- Sicherheit: Angriffe über Wasser waren mit damaligen Booten schwerer durchzuführen als zu Land.
- Nähe zu Fischgründen: Fischfang war eine stabile Nahrungsquelle.
- Gute Verkehrswege: Wasserwege waren oft einfacher zu befahren als dicht bewaldetes Land.
- Hygiene: Steigendes Wasser spülte Müll fort.
- Kulturelle Motive: Möglicherweise spielte auch ein spiritueller Bezug zum Wasser eine Rolle.
Pfahlbauten waren jedoch nur eine von vielen Siedlungsformen. Gleichzeitig entstanden Dörfer im Hinterland, in Tälern, auf Anhöhen oder in Moorgebieten.
Pfahlbauten – Daten & Fakten
- Bauzeitraum: ca. 4300 bis 850 v. Chr.
- Region: Vor allem im Alpenraum, u. a. Bodensee, Federsee, Schweiz, Italien, Slowenien
- Bauweise: Holzhäuser auf Pfählen in Flachwasserzonen, Sumpfgebieten oder am Ufer
- Materialien: Holz, Flechtwerk, Lehm, Schilf, Rinde, Bretter
- Größe der Siedlungen: Von 2 bis 150 Häusern
- Lebensgrundlagen: Landwirtschaft, Viehzucht, Fischfang, Jagd, Handwerk, Handel
- Erhaltungszustand: Viele organische Materialien durch feuchten Boden gut konserviert
- Besonderheiten: UNESCO-Welterbe „Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen“ seit 2011
- Aktuelle Bedrohung: Erosion, Klimaveränderungen, Trockenperioden
Bauweise der Häuser
Die Errichtung solcher Häuser verlangte handwerkliches Geschick. An seichten Uferstellen wurden Holzpfähle in den Boden gerammt, oft aus gespaltenen Baumstämmen. Sie standen meist paarweise. Um sie stabil zu halten, versenkte man große Steine am Fuß der Pfähle.
Die Häuser bestanden aus Holzgerüsten, die mit Flechtwerk ausgefüllt und außen mit Lehm bestrichen wurden. Dächer deckte man mit Schilf, Rinde oder Brettern. Die Höhe der Pfähle richtete sich nach dem Wasserstand, meist zwischen drei und fünf Metern.
Viele Siedlungen waren nicht ständig von Wasser umgeben. Manche standen ursprünglich am trockenen Ufer und wurden erst später durch steigende Seespiegel ins Wasser gerückt. Schauen wir uns die Bautechnik im Detail an.
- Pfahlgründung im Wasser und am Ufer: Die Grundlage bildeten Holzpfähle, meist aus Eiche, Buche oder Tanne. An seichten Uferstellen rammte man sie mit Holz- oder Steinwerkzeugen in den Boden. In weichem Schlamm ließ sich der Pfahl direkt setzen. In härterem Untergrund nutzte man Holzkeile, die in vorgekerbte Spalten getrieben wurden, um den Pfahl zu spalten oder zu verankern. Häufig wurden die Pfähle paarweise gesetzt. Das erleichterte die Verbindung mit Querbalken und erhöhte die Stabilität. Schwere Steine am Pfahlfuß halfen, den Wellenschlag abzufangen. In Moorgebieten setzte man die Pfähle oft flacher und sicherte sie durch Querhölzer, die wie eine Art Fundament wirkten.
- Verbindungstechnik ohne Nägel: Metallnägel waren in der Frühzeit unbekannt oder selten. Stattdessen nutzte man Zapfen- und Schlitzverbindungen, die mit Tiersehnen, Lederstreifen oder Pflanzenfasern umwickelt wurden. Für tragende Konstruktionen griff man auf dickere Balken zurück, während für Wände dünnere Stangen und Flechtwerk verwendet wurden. Die Wände wurden mit Lehm beworfen. Dieser schützte vor Wind, dämmte und verhinderte, dass Zugluft durch das Flechtwerk drang.
- Lastverteilung durch Querbalken: Querbalken – in der Baupraxis auch Schwellen genannt – lagen auf den Pfählen auf und verteilten das Gewicht der Wände und des Daches. Diese Technik reduzierte die Belastung auf einzelne Pfähle und machte die Konstruktion langlebiger.
- Dachkonstruktionen für jedes Klima: Die Dächer waren steil geneigt, um Regenwasser rasch abzuleiten. In manchen Regionen nutzte man Schilf oder Stroh, in anderen Schindeln aus Weißtanne. Schindeldächer boten eine längere Haltbarkeit, erforderten aber mehr Bearbeitung und Werkzeug.
- Lebensdauer und Erneuerung: Ein Pfahlbau hielt im Durchschnitt zehn bis fünfzehn Jahre. Dann mussten einzelne Teile ersetzt werden. Die modulare Bauweise erlaubte es, ein Haus abzubauen oder neu zu errichten, ohne das ganze Dorf zu räumen.
- Baustellenorganisation in der Steinzeit: Holzfällung erfolgte bevorzugt im Winter, wenn die Bäume weniger Saft enthielten. Das machte das Holz leichter und reduzierte das Risiko von Rissen. Für den Transport dienten Schlitten, Flöße oder Einbäume. Große Pfahlbauprojekte erforderten die Zusammenarbeit vieler Familien oder ganzer Siedlungsgemeinschaften.
Alltag im Pfahlbaudorf
Funde zeigen, dass die Menschen von Ackerbau, Viehzucht, Fischfang und Jagd lebten. Schlichtherle beschreibt die Vielfalt der Lebensgrundlagen: „Man hat das Risiko verteilt auf verschiedene Erwerbszweige.“
In manchen Jahren spielte die Landwirtschaft die Hauptrolle, in anderen half die Fischerei, schlechte Ernten auszugleichen. Werkstätten für Töpferei, Weberei oder Holzschnitzerei belegen spezialisierte Berufe.
Keramikgefäße, Textilien und Werkzeuge aus Stein und Bronze sind durch den feuchten Boden erstaunlich gut erhalten. Selbst Speisereste, Holzschindeln oder Teile von Zäunen haben die Jahrtausende überdauert.
Gesellschaft und Zusammenleben
Die Größe der Dörfer variierte stark – von nur zwei Häusern bis zu Siedlungen mit 150 Gebäuden. Diese Unterschiede deuten auf verschiedene soziale Strukturen hin. Manche Orte könnten saisonal genutzt worden sein, etwa für den Fischfang, andere dienten als dauerhafte Wohnstätten.
Ein Fund aus einem sogenannten „Kulthaus“ gibt Einblicke in das spirituelle Leben: lebensgroße Frauengestalten mit sonnenförmigen Köpfen. Schlichtherle folgert daraus: „Die Familienlinien sind in dieser Gesellschaft relativ gleichrangig.“ Diese Darstellungen lassen vermuten, dass religiöse Rituale und die Verehrung weiblicher Gottheiten eine Rolle spielten.
Rekonstruktionen in Unteruhldingen
Wer heute Pfahlbauten sehen will, besucht oft das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen am Bodensee. Dort stehen detailgetreue Nachbauten von Stein- und Bronzezeithäusern. Diese sind kein Weltkulturerbe – sie sollen vielmehr zeigen, wie solche Dörfer ausgesehen haben könnten.
Das Museum gliedert sich in verschiedene Abschnitte:
- Steinzeithäuser Riedschachen: Nachbau einer jungsteinzeitlichen Moorsiedlung um 4000 v. Chr.
- Bronzezeitliches Pfahlbaudorf: Mit Werkstätten wie dem Haus des Bronzegießers oder Töpfers.
- Steinzeitdorf Sipplingen: Sechs Häuser mit Palisade, darunter das Fischer- und Weberhaus.
- Hornstaadhaus und Arbonhaus: Nachbauten auf Basis von Ausgrabungen aus den Jahren 3912 bzw. 3376 v. Chr., teils mit Schindeldächern.
Besonders beliebt war ein Langzeitexperiment: Ein Museumsmitarbeiter lebte zeitweise im Hornstaadhaus und berichtete über Haltbarkeit und Alltag.
Ein Blick in die Vergangenheit
Im Kloster Bad Schussenried und im Federseemuseum Bad Buchau sind viele Originalfunde ausgestellt. Hier wird die Baukunst sichtbar. Fabian Haack vom Archäologischen Landesmuseum zeigt Werkzeuge: „Verschiedene Beile, Fäll-Beile, mit denen tatsächlich die Bäume gefällt worden sind.“
Ein besonderes Highlight ist das Rad aus dem Moorgebiet des Federsees. Es ist rund 5000 Jahre alt und könnte zeitgleich mit den ältesten Rädern Mesopotamiens entstanden sein. Barbara Theune-Grosskopf meint: „Das Rad kann auch an verschiedenen Stellen erfunden worden sein.“
Forschung und moderne Techniken
Heute liefert vor allem die Unterwasserarchäologie neue Erkenntnisse. Taucher*innen kartieren Pfahlfelder, nehmen Proben und dokumentieren Funde millimetergenau. Dendrochronologie – die Analyse von Jahresringen – erlaubt es, Bauhölzer auf das Jahr genau zu datieren.
Zudem helfen 3D-Scans, ganze Siedlungen virtuell zu rekonstruieren. Dadurch können Forschende Bauphasen nachvollziehen und erkennen, wie sich Siedlungen über Generationen entwickelten.
Bedrohung und Schutz der Fundstätten
Erosion ist der größte Feind der Pfahlbauten. Zwischen 1989 und 2004 wurden an manchen Stellen bis zu 35 cm Holz abgetragen. Auch extreme Trockenperioden setzen den Überresten zu, weil sie ungeschützt austrocknen.
Einige Standorte schützen Forschende inzwischen mit Kiesauflagen, um den Wellenschlag zu bremsen. Dennoch könnten viele Fundplätze in den kommenden Jahrzehnten verschwinden, wenn keine dauerhaften Lösungen gefunden werden.
Das Ende einer Epoche
Warum die Pfahlbauten um 850 v. Chr. verschwanden, bleibt offen. Klimaveränderungen, sinkende Wasserstände oder gesellschaftliche Umbrüche sind denkbare Ursachen. Schlichtherle hält Letzteres für wahrscheinlicher:
„Ich denke eher, dass hier gesellschaftliche Umbrüche gewaltiger Art mitspielten – zwischen Bronzezeit und früher Eisenzeit.“
Quellenverzeichnis
- Pfahlbaumuseum Unteruhldingen – Hintergrundinformationen zu Geschichte, Aufbau und Rekonstruktionen der Pfahlbauten am Bodensee, inkl. Angaben zu Ausstellungsinhalten und UNESCO-Welterbe.
- Archäologische und historische Fachinformationen – Bauweise, Verbreitung und Funktion von Pfahlbauten, Forschungsgeschichte, Unterscheidung zu Feuchtbodensiedlungen, sowie Erkenntnisse zur Konservierung der Fundstätten.
- Berichte und Interviews aus der baden-württembergischen Landesausstellung „4000 Jahre Pfahlbauten“ – Originalzitate von Fachleuten wie Gunter Schöbel, Helmut Schlichtherle, Barbara Theune-Grosskopf und Fabian Haack, ergänzt durch Beschreibungen von Fundstücken und Forschungsergebnissen.
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