Anfang Mai ging es mal wieder nach Griechenland, genauer gesagt auf die Halbinsel Chalkidiki. Unser Hotel war auf dem ersten Finger – der Kassandra – unweit des Kanals von Potidea. Da ich bereits an anderer Stelle über den Panamakanal, den Suezkanal und den Kanal von Korinth geschrieben habe, hat mich der Kanal natürlich besonders interessiert. Der Kanal von Potidea ist zwar wesentlich kleiner, allerdings soll er bereits in der Antike angelegt worden sein.

Das erwartet Sie in diesem Beitrag
- Ein technisches Denkmal am Tor zur Kassandra
- Die geografische Lage: Engpass mit Potenzial
- Ursprünge in der Antike – Mythen und Fakten
- Byzantinische und venezianische Phase
- Der Kanal im griechischen Freiheitskampf
- Technische Neuausrichtung im 20. Jahrhundert
- Die neue Brücke – moderner Standard seit 2001
- Heutige Nutzung – regionaler Wasserweg
- Nea Potidea – Siedlung mit Geschichte
- Archäologische und touristische Aspekte
Ein technisches Denkmal am Tor zur Kassandra
Wer mit dem Auto von Thessaloniki Richtung Süden fährt, trifft bald auf ein geografisches Nadelöhr: die schmalste Stelle der Halbinsel Kassandra, dem westlichsten „Finger“ der griechischen Region Chalkidiki. Dort trennt ein etwa 1,2 Kilometer langer und bis zu 40 Meter breiter Kanal die Halbinsel vom Festland – der Kanal von Potidea.
Auf den ersten Blick unscheinbar, blickt dieser Kanal auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück. Seine Funktion als künstlicher Wasserweg zwischen zwei Meeren war ein ambitioniertes Vorhaben, das bereits in der Antike begann.
Die geografische Lage: Engpass mit Potenzial
Der Kanal verbindet den Thermaischen Golf im Westen mit dem Toronäischen Golf im Osten. An der schmalsten Stelle misst die Landverbindung zwischen Festland und Halbinsel nur rund 1,2 Kilometer. Genau dort setzten die antiken Ingenieurinnen und Ingenieure an. Der Boden ist flach, der Meeresspiegel auf beiden Seiten annähernd gleich – ideale Voraussetzungen für einen künstlichen Durchbruch.
Die heutigen Dimensionen betragen etwa 4,5 Meter Tiefe und 40 Meter Breite an der Wasseroberfläche. Der Tidenhub liegt bei rund 25 Zentimetern. Die Fließrichtung des Wassers wechselt je nach Windverhältnissen und Gezeiten – eine Besonderheit, die auch hydrologisch von Interesse ist.

Ursprünge in der Antike – Mythen und Fakten
Die Ursprünge des Kanals sind nicht zweifelsfrei belegt. Strabon erwähnte ihn im 1. Jahrhundert n. Chr. als bereits bestehend. Möglicherweise wurde er um 315 v. Chr. vom makedonischen König Kassander errichtet. In diesem Zusammenhang steht auch die Gründung der nahe gelegenen Stadt Kassandreia. Frühere Quellen schweigen sich aus: Weder Herodot noch Thukydides erwähnen bei ihren Beschreibungen militärischer Belagerungen der Stadt Potidea einen Kanal.
Ein Vergleich mit dem Xerxes-Kanal – ebenfalls in Chalkidiki gelegen und nachweislich im 5. Jahrhundert v. Chr. gegraben – legt nahe, dass der Kanal von Potidea ebenfalls antiken Ursprungs sein könnte. Spätere Baumaßnahmen sprechen dafür, dass die Idee des Wasserdurchbruchs über Jahrhunderte hinweg immer wieder aufgegriffen wurde.
Byzantinische und venezianische Phase
1407 ließ der byzantinische Kaiser Manuel II. den Kanal erneut ausheben. Gleichzeitig wurden Befestigungsanlagen entlang der südlichen Uferlinie errichtet, um den strategisch wichtigen Durchgang militärisch zu sichern. Im Jahr 1423 übernahmen die Venezianer das Kommando über Thessaloniki und den Kanal. Doch schon wenige Jahre später, 1430, fiel die Region an das Osmanische Reich.
Aus der osmanischen Zeit fehlen gesicherte Berichte über Zustand oder Nutzung des Kanals. Erst mit dem Beginn des griechischen Unabhängigkeitskampfes rückte der Ort wieder ins Rampenlicht.

Der Kanal im griechischen Freiheitskampf
Im Jahr 1821 – zu Beginn des griechischen Aufstands gegen das Osmanische Reich – wurde der Kanal erneut instand gesetzt. Die Mauern aus byzantinischer Zeit dienten den Aufständischen als Schutzwall. Diese zogen sich auf die Halbinsel Kassandra zurück, konnten die osmanischen Angriffe aber nur vorübergehend abwehren. Nach Überlieferungen gelang es den Osmanen, durch das Aufschütten von Schafwollballen den Wasserweg zu überqueren und die Festung einzunehmen.
Technische Neuausrichtung im 20. Jahrhundert
In der Zwischenkriegszeit wurde der Kanal ein weiteres Mal neu ausgehoben. Zwischen 1935 und 1937 verlegte man den Verlauf des Kanals und begradigte ihn – der alte bogenförmige Verlauf wurde durch eine geradlinige Verbindung ersetzt. Damit wurde der Kanal nicht nur effizienter, sondern auch für den modernen Verkehr besser zugänglich.
Bis 1970 war die Halbinsel Kassandra nur mit einer Fähre erreichbar. Diese bestand aus einem großen Metallfloß – dem sogenannten Sali –, das mit einem Drahtseil gezogen wurde. Es transportierte Menschen, Fahrzeuge und Tiere über den Kanal. Eine mühsame, aber unverzichtbare Verbindung.
1970 wurde schließlich die erste feste Straßenbrücke eröffnet. Der Bau gestaltete sich problematisch. Zeitzeugen berichten, dass minderwertige Materialien verwendet wurden. Das führte zu einem Einsturz – glücklicherweise ohne Todesopfer. Der verantwortliche Bauunternehmer musste die Brücke neu errichten. Das Bauwerk verband nun erstmals dauerhaft Kassandra mit dem Festland auf dem Landweg.

Die neue Brücke – moderner Standard seit 2001
Seit Anfang der 2000er Jahre führt eine neue Brücke über den Kanal. Sie ist 165,5 Meter lang und war die erste Brücke Griechenlands, die im sogenannten Taktschiebeverfahren (Schubbauweise) errichtet wurde. Beide Brücken fungieren heute als getrennte Richtungsfahrbahnen der Schnellstraße von Nea Moudania nach Kallithea.
Die Brücke ermöglicht nicht nur den Straßenverkehr, sondern bietet auch eine hervorragende Aussicht auf den Kanal – ein beliebtes Fotomotiv für Besucherinnen und Besucher.
Heutige Nutzung – regionaler Wasserweg
Der Kanal ist heute vor allem für kleinere Schiffe von Bedeutung. Meist nutzen ihn lokale Fischerboote vom Typ „Kaika“. Für größere Frachtschiffe ist der Kanal aufgrund seiner geringen Tiefe nicht geeignet. Dennoch bietet er eine direkte Verbindung zwischen den beiden Buchten – ideal für regionale Fischerei und Ausflugsboote.
Nea Potidea – Siedlung mit Geschichte
Direkt am Kanal liegt die Siedlung Nea Potidea, auch als „Tor zur Kassandra“ bekannt. Sie wurde 1923 von Geflüchteten aus Kleinasien gegründet. Die Ursprünge der Besiedlung reichen jedoch bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. zurück. In der Antike war Potidea eine wohlhabende Stadt mit eigenem Münzwesen und aktiver Beteiligung an den Perserkriegen.
Die Weigerung der Stadt, der Athener Seebundpolitik zu folgen, gilt als einer der Auslöser des Peloponnesischen Krieges. Auch Sokrates kämpfte während der Belagerung der Stadt. Später wurde Potidea von Philipp II. erobert, zerstört und unter dem Namen Kassandreia neu gegründet.
Archäologische und touristische Aspekte
Heute sind noch Reste der antiken Stadtmauer zu sehen, ebenso wie byzantinische Festungselemente aus der Zeit Justinians. Die Kapelle der Erzengel und die Kirche des Agios Georgios – gebaut aus Materialien des zerstörten Athos-Klosters – sind weitere Zeugnisse der bewegten Geschichte.
Der Kanal selbst ist nicht nur eine Wasserstraße, sondern ein lebendiges Geschichtsbuch. Er erzählt von antiker Baukunst, militärischen Konflikten, politischen Umwälzungen und dem Wandel moderner Infrastruktur.