Der Pont du Gard ist mehr als eine Brücke. Er ist das steinerne Gedächtnis einer Ingenieurkunst, die sich auf Erfahrung, Schwerkraft und geschickte Bauplanung stützte. Über 2.000 Jahre nach seiner Errichtung überspannt er noch immer das Tal des Gardon – ohne Mörtel, ohne moderne Maschinen, aber mit einem faszinierenden Verständnis von Statik. Wie konnte ein Bauwerk dieser Größe und Komplexität so lange überdauern?

Das erwartet Sie in diesem Beitrag
- Ein Aquädukt für eine römische Stadt
- Herausforderung Gefälle
- Bauweise ohne Mörtel
- 1.000 Menschen, 3 Jahre Bauzeit
- Verfall, Nutzung, Erhalt
- Ingenieurskunst ohne Rechenformeln
- Der Pont du Gard heute
Ein Aquädukt für eine römische Stadt
Der Pont du Gard entstand als Teil einer 50 km langen Wasserleitung, die das Quellwasser aus der Umgebung von Uzès in das damalige Nemausus – das heutige Nîmes – bringen sollte. Ziel war es, die wachsende römische Stadt mit frischem Wasser zu versorgen. Rund 20.000 m³ Wasser strömten täglich durch den Kanal, genug, um jedem der etwa 20.000 Einwohner theoretisch 1.000 Liter zur Verfügung zu stellen.
Zwischen Quelle und Ziel lagen jedoch nicht nur 50 km Strecke, sondern auch geologische Hindernisse: Berge, Täler, Flüsse. Besonders herausfordernd war das Tal des Gardon, das über 50 m tief eingeschnitten ist. Um dieses zu überqueren, planten die römischen Bauleitenden den Pont du Gard – ein dreigeschossiges Bauwerk mit insgesamt 52 Bögen.
Herausforderung Gefälle
Die entscheidende ingenieurtechnische Leistung war nicht nur die Brücke selbst. Es war das Gefälle. Der gesamte Höhenunterschied zwischen Quelle und Ziel beträgt gerade einmal 17 m – auf 50 km. Das ergibt ein durchschnittliches Gefälle von nur 34 cm pro Kilometer. An der Brücke selbst liegt das Gefälle sogar nur bei 2,5 cm auf die gesamte Spannweite.
Wie es den römischen Ingenieurinnen und Ingenieuren gelang, diese präzise Neigung ohne moderne Vermessungstechnik zu planen und umzusetzen, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Vermutlich stützten sie sich auf einfache Wasserwaagen und Erfahrungswerte – und wendeten diese mit äußerster Sorgfalt an.
Bauweise ohne Mörtel
Der Pont du Gard wurde in römischer Quaderbauweise errichtet, dem sogenannten opus quadratum. Dabei verwendete man gleichmäßig hohe Kalksteinquader, die aus nahegelegenen Steinbrüchen stammten. Mörtel kam kaum zum Einsatz. Die Stabilität des Bauwerks ergibt sich aus dem Eigengewicht der Steine und der geschickten Verteilung der Kräfte innerhalb der Bögen.
Die sechs Tonnen schweren Keilsteine wurden so aufeinander gesetzt, dass ihre Fugen immer zum Mittelpunkt des jeweiligen Bogens zeigen. Dadurch wird die Last nicht nur nach unten, sondern auch zur Seite hin abgeleitet. Die Pfeiler sind deshalb massiv und tief im Boden verankert. Besonders wichtig war auch die Lage der mittleren Pfeiler: Sie sitzen exakt auf den unteren Pfeilern, um die Last gleichmäßig zu übertragen.
1.000 Menschen, 3 Jahre Bauzeit
Etwa 1.000 Männer – darunter wahrscheinlich viele Sklaven und Kriegsgefangene – arbeiteten rund drei Jahre lang an dem Bauwerk. Ihnen standen einfache Werkzeuge wie Meißel, Schlägel und Wasserwaagen zur Verfügung. Für den Transport der schweren Steine nutzten sie Flaschenzüge und Baukräne, die mit Muskelkraft betrieben wurden – unter anderem durch Tretmühlen, in denen Menschen wie in einem riesigen Hamsterrad liefen.
Noch heute sind an der Brücke sogenannte „Nasensteine“ zu erkennen – überstehende Blöcke, an denen Gerüste oder Hebevorrichtungen befestigt waren. Sie blieben erhalten, vermutlich um spätere Reparaturarbeiten zu erleichtern.
- Standort: Vers-Pont-du-Gard, Département Gard, Südfrankreich
- Nutzung: Antiker Aquädukt zur Wasserversorgung von Nîmes
- Funktion: Überquerung des Flusstals Gardon
- Bauzeit: Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.
- Länge des gesamten Aquädukts: ca. 50 km
- Länge des Pont du Gard: 275 m
- Höhe: 49 m
- Etagen: 3
- Anzahl Bögen: 52 (6 unten, 11 mittig, 35 oben)
- Größte Spannweite: 24,4 m
- Material: Urgonischer Kalkstein aus lokalen Steinbrüchen
- Bauweise: Römische Quaderbauweise (opus quadratum), ohne Mörtel
- Tägliche Wassermenge: ca. 20.000 m³
- Gefälle im Kanal: 0,34 ‰ (etwa 34 cm/km)
- Bauzeit: ca. 3 Jahre
- Beschäftigte: etwa 1.000 Personen
- UNESCO-Welterbe: seit 1985
Verfall, Nutzung, Erhalt
Über Jahrhunderte floss Wasser über den Pont du Gard nach Nîmes. Doch ab dem 4. Jahrhundert wurde die Instandhaltung zunehmend vernachlässigt. Kalkablagerungen – sogenannter Sinter – verengten die Rinne. Schließlich wurde der Aquädukt unbrauchbar. Im Mittelalter nutzten Menschen das Bauwerk als Steinbruch.
Trotzdem blieb der Pont du Gard erhalten – auch weil er als Straßenbrücke diente. Im 18. Jahrhundert errichtete man eine neue Brücke unmittelbar daneben, um das antike Bauwerk zu entlasten. Napoleon III. ließ den Pont du Gard im 19. Jahrhundert restaurieren. Seit 1985 gehört er zum UNESCO-Welterbe.
Ingenieurskunst ohne Rechenformeln
Die Bauenden der römischen Antike konnten statische Belastungen nicht wie heute exakt berechnen. Sie nutzten Erfahrungswissen – und setzten auf Sicherheit durch Materialstärke. Die Bögen des Pont du Gard haben Spannweiten bis zu 24,4 m – damals eine Seltenheit. Auch die Höhe von 49 m war für eine Bogenbrücke außergewöhnlich.
Die Römer kannten die Prinzipien der Kraftverteilung im Bogen. Sie wussten, dass der Rundbogen sich selbst stabilisiert, wenn er korrekt verankert ist. Diese Erkenntnis setzten sie konsequent um – und schufen so ein langlebiges Bauwerk, das Jahrhunderte überdauerte.
Der Pont du Gard heute
Der Pont du Gard ist heute nicht nur ein Denkmal der römischen Wasserbaukunst, sondern auch ein gut erschlossenes Besucherziel. In der Nähe befinden sich ein Museum, ein Besucherzentrum und Wanderwege. Der Zugang zur Brücke ist heute reglementiert, doch man kann sie von verschiedenen Aussichtspunkten aus betrachten. Besonders eindrucksvoll ist der Blick von den umliegenden Hängen.
Wer möchte, kann entlang der alten Wasserleitung wandern oder sich per Kanu dem Bauwerk nähern. An Sommertagen wird das Ensemble durch Lichtinstallationen ergänzt. Der Pont du Gard ist damit nicht nur ein technisches Zeugnis der Vergangenheit, sondern auch Teil der Gegenwart.