Obwohl ich Fan des VfB Stuttgart bin, habe ich emotional eine größere Verbindung zum Bökelberg in Mönchengladbach als zum Neckarstadion. Das liegt einerseits daran, dass das Stuttgarter Stadion noch steht, andererseits aber auch daran, dass ich das letzte Bundesligaspiel auf dem Bökelberg live vor Ort verfolgen durfte. Und als Dauerkartenbesitzer noch jede Menge Spiele mehr.
Das Stadion war vielleicht keine Schönheit, aber auf jeden Fall ein Ort, an dem Fußballgeschichte geschrieben wurde und Fußball noch wirklich gelebt wurde. Der Borussia-Park war wahrscheinlich für das Überleben der Borussia unabdingbar, aber am Bökelberg fühlte ich mich dem Mythos Fußball näher. Schauen wir uns das Bauwerk und seine Geschichte einmal etwas genauer an.

Das erwartet Sie in diesem Beitrag
- Eine Grube wird zur Bühne
- Kein Berg, kein Bökel – und trotzdem Bökelberg
- Zwischen Erdwall und Bundesliga
- Die Fohlen starten durch
- Umbauten, die nicht reichten
- Letztes Spiel, letzter Treffer
- Vom Fußballtempel zur Wohnadresse
- Der Mythos bleibt
Eine Grube wird zur Bühne
1914 erwarb Borussia Mönchengladbach ein Grundstück an der Bökelstraße – auf 61 Metern über dem Meeresspiegel. Dort, wo einst Kies abgebaut wurde, sollte eine neue Heimat für den Verein entstehen. Der Erste Weltkrieg stoppte zunächst die Baupläne. Doch 1919 nahm man das Vorhaben wieder auf. Das Gelände war nicht viel mehr als ein Erdloch – mit einer Mauer darum und einem Fußballplatz darin. Offiziell nannte man es „Westdeutsches Stadion“. Die Gladbacher sprachen lieber von der „Kull“.
Am 20. September 1919 eröffnete die neue Anlage. Es war eine Zeit, in der sich Turner und Fußballer noch misstrauisch beäugten. Und doch prägten ausgerechnet die Turner die Eröffnungsfeier. Vielleicht war das schon der erste Hinweis darauf, dass sich der Bökelberg nie ganz einordnen ließ.
Kein Berg, kein Bökel – und trotzdem Bökelberg
Dass ein Stadion in einer Grube liegt und trotzdem „Bökelberg“ heißt, mag widersprüchlich erscheinen. Der Name geht auf einen Redakteur der Rheinischen Post zurück. Wilhelm August Hurtmanns prägte den Begriff – wohl eher poetisch als geografisch.
Das Stadion lag an der Bökelstraße, aber nicht auf dem Bökel. Und mit 60 Metern Höhe war es ohnehin kein Berg. Doch genau dieser Widerspruch machte den Reiz aus. Der Bökelberg war nie das, was man von ihm erwartete. Und vielleicht wurde er gerade deshalb zur Legende.
Zwischen Erdwall und Bundesliga
In den ersten Jahrzehnten blieb der Bökelberg eher einfach ausgestattet. Während andere Städte repräsentative Arenen errichteten, dominierte in Mönchengladbach der Erdwall. Erst 1952 begann man mit einem umfangreicheren Ausbau. Doch Borussia hatte hohe Schulden. 1956 musste der Klub das Stadion an die Stadt abtreten.
Ein Wendepunkt kam 1960 mit dem Gewinn des DFB-Pokals. Die Stadt investierte, die Anlage wurde modernisiert – und erhielt ihren neuen Namen: Bökelbergstadion.

Die Fohlen starten durch
In den 1960er-Jahren entwickelte sich der Bökelberg zum Zentrum einer jungen, aufstrebenden Mannschaft. Günter Netzer, Berti Vogts, Jupp Heynckes, Rainer Bonhof – sie alle wurden am Bökelberg groß. Ihre Spiele prägten eine Ära.
Doch auch der Spielort selbst schrieb Geschichte. Zwei der seltsamsten Spiele der Bundesliga fanden hier statt. 1971 das berühmte Pfostenbruch-Spiel gegen Werder Bremen – ein kaputtes Tor machte das Spiel ungültig. Und das 7:1 im Europapokal gegen Inter Mailand – ebenfalls annulliert, wegen eines geworfenen Gegenstands aus dem Publikum. Der Bökelberg entzog sich der Logik. Und das machte ihn zum Mythos.
Umbauten, die nicht reichten
1962 wurden drei Seiten des Stadions mit festen Rängen versehen. Die Westtribüne bekam 1966 ein Dach, 1969 eine Flutlichtanlage. 1972 wurde der Osthang mit einem Erddamm geschlossen. 1978 baute man die Haupttribüne neu – mit zwei Ebenen, Seilverspannung und markanten Stahlmasten.
Doch der Bökelberg blieb ein Stadion von gestern. Für die WM 1974 bekamen andere Städte moderne Arenen. Borussia spielte zwar erfolgreich, aber oft nicht im eigenen Stadion. Wichtige Spiele fanden im Rheinstadion in Düsseldorf statt. Der Bökelberg wirkte fast wie ein Anachronismus.
- Statt Komfort bot er Atmosphäre pur – Fans standen dicht am Spielfeld, die Nähe erzeugte eine Intensität, wie sie heute kaum noch existiert.
- Er war nie komplett fertig oder perfekt – und lebte genau davon. Unfertig, roh und mit Charakter – dadurch ein echter Mythos.
- Abgerissen 2006, doch eine Gedenkstätte bewahrt die Erinnerung – und im Herzen vieler lebt der Mythos weiter.
Letztes Spiel, letzter Treffer
Am 22. Mai 2004 verabschiedete sich der Bökelberg von der Bundesliga. Borussia besiegte 1860 München mit 3:1. Arie van Lent erzielte das letzte Bundesligator im Stadion. Ein Jahr später folgte das letzte Pflichtspiel überhaupt: Borussias U23 schlug den Bonner SC mit 5:0.
Danach begann der Rückbau. Fans ersteigerten Sitzschalen und andere Erinnerungsstücke. Die Haupttribüne wurde 2006 gesprengt – allerdings erst im zweiten Anlauf. Die Seile hielten stand, die Technik versagte. Am Ende musste man manuell nachhelfen.

Vom Fußballtempel zur Wohnadresse
Heute erinnert wenig an das einstige Stadion – und doch sehr viel. Auf dem ehemaligen Gelände entstand ein Wohngebiet mit rund 70 Häusern. Die alten Tribünenhänge sind als Terrassen erhalten geblieben. Öffentliche Wege führen über Nord- und Südkurve. Die Struktur ist noch erkennbar.
Die Straßen tragen Namen wie „Am Bökelberg“ oder „In de Kull“. In den Gärten weht manchmal noch eine Raute im Wind. Eine Gedenkstätte erinnert seit 2019 offiziell an das Stadion. Wer hier wohnt, weiß, worauf er steht – und wer hier einst lief, grätschte und jubelte.
Der Mythos bleibt
Viele ehemalige Borussia-Spieler leben heute in der neuen Siedlung. Auch aktuelle Profis zog es hierher – und Fans kommen regelmäßig vorbei. Sie setzen sich auf die Ränge aus Beton, schauen sich um – und sehen das Stadion wieder vor sich. „Für uns bedeutete das einen erhöhten Spaßfaktor und großen Vorteil“, sagte Christian Kulik einmal. „Die Leute waren nur einen Meter weg.“
Ein Stadion, das nie ganz fertig wurde. Ein Ort, der nie das war, was man von ihm erwartete. Und trotzdem – oder gerade deshalb – ein Mythos. Der Bökelberg bleibt im Gedächtnis. Als Ort der Widersprüche. Als Heimat einer großen Fußballzeit. Und als Stadion, das nie ganz ging.